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Ruth Marten stellt Frauen poetisch, humorvoll und obszön dar – und wird in der Villa Zanders mit einer Einzelausstellung gewürdigt. Unsere Autorin hat mit der Künstlerin, mit Museumsdirektorin Ina Dinter und dem Galeristen Franz van der Grinten über Martens Arbeitsweise gesprochen. Und über archetypische, kulturell geprägte und zeitgenössische Vorstellungen von Weiblichkeit.
Text: Antje Schlenker-Kortum. Fotos: Thomas Merkenich
Die New Yorker Künstlerin Ruth Marten zeigt im Kunstmuseum Villa Zanders eine umfassende Einzelausstellung. Geteilt in zwei Schaffensperioden: ältere Arbeiten – Übermalungen historischer Grafiken aus dem 18. Jahrhundert – die zwischen 2008 und 2022 entstanden sind – und zum anderen ein neuer Zyklus der letzten drei Jahre, unter dem Titel „All About Eve“.
Marten arbeitet mit Drucken und Fotografien; für die Serie „All About Eve“ benutzt sie Fotovorlagen in „Heliogravüre“ – Fotos, die mit einer alten Fotografietechnik, einem Vorläufer des Tiefdrucks, erstellt worden sind.
Ausgangspunkt ist eine Aktserie von Tänzerinnen des Varieté-Theaters im Paris der 20er Jahre, die sie auf einem Flohmarkt erstand. Sie stammen von dem polnischen Fotograf Stanisław Julian Ignacy Ostroróg, der sich später Laryew nannte.
Ruth Marten ist mit Werbung und gedrucktem Infomaterial aufgewachsen und begann ab 2006 damit, gezielt solche Materialien auf Flohmärkten zu sammeln. Hinzu kommt eine familiäre Prägung: Ihr Vater entwickelte Fotos und ihre Mutter hatte einen Laden für Papierwaren und Grußkarten.
Nach Studium an High School of Art and Design in NY und im Boston Museum of Fine Arts, machte sie sich einen Namen als Tattoo-Künstlerin und Illustratorin. Während dieser Zeit erarbeitete sie sich ihre künstlerische Technik der Collage und Übermalung.
Symbolismus und Max Ernst
Die Künstlerin betont, wie sehr sie von Max Ernst geprägt ist, der mit Collagen arbeitete und Dingen eine andere Bedeutung gab; irgendwann adaptierte sie seinen künstlerischen Ansatz.
Besonders interessierte sie die Schnelllebigkeit der Medien: „Nobody wants yesterday’s news“, sagt sie lachend. Und sie stellte fest, dass sich die Dinge wiederholen. Geschichten würden nicht sterben, sondern sich verwandeln, sagt sie. Menschen haben die Veranlagung für Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden.
Doch Martens künstlerische Arbeit geht weit über das Wiedererzählen hinaus. „Durch ihre Überarbeitungen schafft Marten einen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie gibt den abgebildeten Frauen eine neue ‚Stimme‘ und erweitert ihre Geschichten,“ sagt Museumsdirektorin Ina Dinter.
1923 war die Fotografie noch jung. Laryew war ein cleverer Unternehmer. Er hat die alte Drucktechnik auf speziellem Holzpapier verwendet und in sehr großen Editionen veröffentlicht. Das war sehr populär, erklärt Marten.
Moderne Weiblichkeit neu interpretiert
Auch sie sei von der Darstellung der nackten Frauen fasziniert. Dabei hatten die Posen für sie nichts explizit Erotisches. Sie erklärt, dass die Bilder kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind. Sie glaubt, dass die Posen vor allem vom weiblichen Körpergefühl und vom kreativen Naturell der einzelnen Tänzerinnen erzählen.
Ruth Marten: All About Eve
Kunstmuseum Villa Zanders
bis 21.4.2025
Begleitprogramm
Kuratorinnenführungen (60 Min.)
Donnerstag, 13. Februar 2025, 18.00 Uhr (Maike Sturm)
Donnerstag, 6. März 2025, 18.00 Uhr (Dr. Ina Dinter)
Di und Fr 14 bis 18 Uhr, Mi und Sa 10 bis 18 Uhr, Do 14 bis 20 Uhr, Sonn- und Feiertage 11 bis 18 Uhr
Mehr Infos im Web
Die 1945 geborene Künstlerin betrachtet diese jungen Frauen als jüngere Version ihrer selbst. Für sie sind die Frauen mit Bubikopffrisurmoderne Frauen, die „ihr Haar“ und „ihr Korsett abgeschnitten“ haben. Die Frauen wirken individuell, man könne sich heute noch mit ihnen identifizieren. „These girls could be anyone –anything.“Ruth Marten
So muss man schon sehr genau auf ihre Bilder schauen, um zu erkennen, was ursprüngliche Elemente des Originalfotos sind und was von der Künstlerin malerisch verändert wurde. Auf den Aktfotos hat sie vorwiegend mit Gouache gemalt – so konnte sie illusionistisch arbeiten, Dinge verschwinden lassen und hinzufügen, erzählt die Künstlerin.
Ina Dinter erklärt, dass Gouache deckender sei als Aquarell. Aquarell würde hier als Technik nicht funktionieren, anders als in den früheren Arbeiten, die auf alten Kupferstichen entstanden sind.
Intuitive Verbindungen
Die jungen Frauen wurden von Laryew vor ArtDeco Hintergründen fotografiert – beispielsweise vor einem Theatervorhang. Manches habe sie gelassen wie es ist; manchmal habe sie den Hintergrund weggenommen, berichtet Marten. Letztlich habe sie das Bild intuitiv vervollständigt.
Insgesamt sind es 62 Bilder und etwa 20 Modelle. Oft erkennt man dieselbe Frau in einer ähnlichen Pose auf einem anderen Bild wieder, was der Serie eine erzählerische Note verleiht.
Marten erklärt das mit einer Vorliebe für Verbindungen: „I like the idea of continuity. Things are connected to other things. So the elements I use in some of these pictures are an illustration of that idea..“
Sie entwickelte während der Bearbeitung eine Art familiäre Beziehung zu jeder einzelnen Frau, sagt Marten. Sie führe einen inneren Dialog mit ihnen – darüber, was sie werden sollten, ob sie sie in Männer, Tiere oder Maschinen verwandeln solle.
Psychologie der dunklen Seite
Man sieht oft einen Alligator, eine Art persönliches Totem, das sie hier den „Boogeyman“ nennt. Ina Dinter stellt fest, dass sie keine passende Übersetzung im Deutschen kenne, –sinngemäß könne man „ein böser Mann“ sagen – er stehesymbolisch für „etwas Beängstigendes“.
Die Interpretation bleibt den Betrachtern überlassen. Die Künstlerin sagt, dass sie bewusst keine Titel vergebe: „I don’t want to tell people what they are looking at. That would be illustration.“
Marten erzählt, dass sie mit den Ideen von Carl Gustav Jung aufgewachsen ist; Symbolismus und die Psychologie hätten immer einen Einfluss auf ihre Arbeit gehabt. Für Marten ist der „Boogeyman“ ein sehr archaischer Begriff, der mit eigenen Kindheitserfahrungen zusammenhängt. Er ist ihr Ausdruck dafür, sich mit der dunklen Seite anzufreunden.
So malt sie den Frauen vieldeutige Symbole hinzu, die einen weiten Interpretationsraum eröffnen – oft witzig, skurril, subversiv –ohne dabei plakativ und belehrend zu sein. Ihre Arbeit sei eine Wiedergabe durch eine Art „Fantasielinse“.
Es ginge ihr darum, wie Menschen, insbesondere Frauen, sich selbst gesehen haben oder von anderen gesehen wurden. Sie habe versucht, die Frauen nie als Opfer darzustellen.
Das Europäische und das Jetzt
Ruth Martens Galerist Franz van der Grinten sieht ihre Aktualität in der Zeitlosigkeit ihres Werks: „Es ist heute entstanden – mit historischen Materialien –es ist ein Blick zurück“. Nicht nur das, denn er sehe etwas Feministisches darin, ein Set zu benutzen, dass ein Mann fotografiert hat und dem Ganzen neues Leben einzuhauchen –aus weiblicher Sicht. „Sie gibt diesen Frauen eine neue Autonomie und sie transformiert das in die Jetztzeit.“
Er schätzt besonders Martens europäische Sichtweise. „Es gibt viele solche US-amerikanischen Künstler, die so viel Background von ihren europäischen Wurzeln haben: sei es der Strich der Illustration, die Kenntnis von Literatur, Kulturgeschichte, die Liebe zu Kultur.“ Er fügt hinzu: „Europa ist kulturgeschichtlich über viele Jahre gewachsen. Das steckt uns im Blut – das wertzuschätzen und zu fördern, zu publizieren und zu vermitteln.“
Ruth Marten komme aus den 60ern, aus der sexuellen Befreiung, dem Underground, der Jazzszene. „Das war eine unglaubliche Zeit, die sie aktiv miterlebt hat. Die aktuellen Zeiten sind erschreckend konservativ, rückwärtsgewandt und autoritär. Da ist es schon ein Statement, die Frauen so poetisch, humorvoll und obszön – im Sinne einer Selbstermächtigung – darzustellen“, fügt der Kölner Galerist hinzu.
Es gibt einen Flyer und Katalog zur Ausstellung (Kunstmuseum Villa Zanders, Herausgegeben, Publlished by Ina Dinter, Verlag Kettler, Dortmund).
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